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Im Rahmen von Vergleichen bei Geburtsschadensfällen spielt der Schadenersatz des Pflege- und Betreuungsmehraufwandes eine wesentliche Rolle.
Kinder, die durch einen Geburtsschaden geschädigt wurden, erleiden meist einen sauerstoffbedingten Hirnschaden, der in aller Regel einen erheblichen Pflege- und Betreuungsmehraufwand mit sich bringt. Gerade bei diesen Kindern ist zu berücksichtigen, dass der Mehraufwand mit zunehmendem Alter steigt oder sich mit der Verschlechterung des Gesundheitszustandes erhöht.
Worauf sollte bei einem Vergleich geachtet werden?
Der Pflege- und Betreuungsmehrbedarf ist eng verknüpft mit der gesundheitlichen Situation des geschädigten Kindes. Die Möglichkeit, dass es zu einer Erhöhung des Pflege- und Betreuungsaufwandes kommen kann, muss mit in die Überlegungen bei der Vorbereitung eines Vergleiches eingebunden werden.
Wesentlich ist es daher, bei der Bestimmung des Pflege- und Betreuungsmehrbedarfes nicht nur die vergangene und aktuelle gesundheitliche Situation des Kindes mit einzubeziehen, sondern auch gedanklich in die Zukunft „vorzuspulen“ und eine mögliche Entwicklung zu antizipieren. Es ist ratsam, medizinische sowie pflegerische Gutachten mit einzubeziehen.
Welche Möglichkeiten gibt es, um die zukünftige Entwicklung zu berücksichtigen?
Zusammengefasst gibt es im Wesentlichen folgende Möglichkeiten:
Vereinbarung eines Vorbehalts, Abgeltung des zukünftigen Pflege- und Betreuungsmehraufwandes und Anpassung an Veränderungen des Pflege- und Betreuungsaufwandes.
1. Vorbehalt
Bei einem Vergleich besteht die Möglichkeit, zur Regelung des zukünftigen Pflege- und Betreuungsmehraufwandes einen Vorbehalt mit aufzunehmen. Eine konkrete Bezifferung für die Zukunft entfällt dann. Erst wenn ein weiterer Pflege- und Betreuungsmehraufwand eintritt, wird der tatsächliche Bedarf und damit der zu zahlende Betrag festgestellt.
In gewissen Konstellationen ist auch eine Kombination der Varianten 1 und 3 denkbar.
2. Abgeltung des zukünftigen Pflege- und Betreuungsmehraufwandes
Eine andere Möglichkeit ist es, auf der Basis der bis zum Abschluss des Vergleichs bekannten Pflege- und Betreuungssituation des Kindes, am besten ergänzt durch die oben schon genannten Gutachten, den zukünftigen Mehraufwand möglichst konkret zu bestimmen und zu berechnen. Dies bietet sich vor allem an, wenn beide Parteien einen abschließenden Abfindungsvergleich wünschen.
3. Anpassung an Veränderungen des Pflege- und Betreuungsmehraufwandes
Üblich ist es auch, in einem Vergleich eine flexible Regelung für die Zukunft zu treffen. Der erste Schritt ist, dass man zunächst für die (nahe) Zukunft einen Pflege- und Betreuungsaufwand mit Angabe des Stundensatzes festlegt und hierauf basierend den vom Haftpflichtversicherer des Krankenhauses, des Arztes oder der Hebamme zu zahlenden Schadensbetrages regelt. Im zweiten Schritt trifft man eine Regelung, unter welchen Bedingungen eine etwaige Erhöhung des von der Gegenseite gezahlten Pflege- und Betreuungsmehraufwandes erfolgen soll. Eine Erhöhung des gezahlten Pflegemehrbedarfsschadens kann z.B. an eine 10%ige Erhöhung gekoppelt werden oder gestaffelt in einem näher bestimmten zeitlichen Abstand erfolgen. Eine solche Erhöhung kann auch dann bestimmt werden, wenn beispielsweise die Art und Weise der Pflege sich ändert, statt einer häuslichen Pflege nun eine vollstationäre Pflege notwendig wird.
Völlig unabhängig von der Erhöhung des Pflege- und Betreuungsmehraufwandes sollte in jedem Fall eine zeitlich gestaffelte Erhöhung des Stundenbetrages berücksichtigt werden. Es liegt auf der Hand, dass ein Stundensatz von beispielsweise derzeit 10 € nach 5,10 oder 20 Jahren der tatsächlich erbrachten Leistung nicht mehr gerecht wird und auch mit der tatsächlichen Verteuerung der Pflegeleistungen im allgemeinen nicht Schritt halten kann. Es bietet sich daher an, den Stundensatz beispielsweise an die Gehälter im Bereich der Pflege zu koppeln oder an eine zeitlich näher zu bestimmende Steigerung.
Wenn eine solche flexible Gestaltung für die Zukunft gewünscht wird, sollten im Vergleichstext die Bemessungsgrundlagen für die Berechnung des Pflege- und Betreuungsmehraufwandes festgehalten werden.
So kann ein späterer Streit darüber, wie die ursprüngliche Pflegemehrbedarfsrente festgelegt wurde, vermieden werden und auf der Basis der ursprünglichen Bemessungsgrundlagen eine Neufeststellung getroffen werden.
Ist die Erhöhung des Pflegemehrbedarfsschadens an den Pflegegrad gebunden?
Ob eine Erhöhung des Pflege- und Betreuungsaufwandes zu erfolgen hat, hat nicht zwangsläufig etwas damit zu tun, ob auch im Bereich der Pflegeversicherung ein neuer Pflegegrad bestimmt wurde.
Gerne wird von Seiten der Haftpflichtversicherer des Krankenhauses, des Arztes oder der Hebamme eingewandt, dass die Pflegebedürftigkeitsfeststellung nach dem Pflegeversicherungsgesetz (SGB XI) Bemessungs- und Bewertungsgrundlage sei. Hierbei wird argumentiert, dass der Gesetzgeber die Ermittlung des Pflegebedarfes umfassend und abschließend geregelt habe.
Dieser fehlerhafte Einwand darf in keinem Fall hingenommen werden.
Der als Schadenersatz aufgrund eines Geburtsschadens zu erstattende (individuelle) Pflege- und Betreuungsmehrbedarf auf der einen Seite und die (pauschale) Leistung wegen einer Pflegebedürftigkeit gemäß SGB XI auf der anderen Seite sind nicht deckungsgleich.
Beim Pflegebedarf geht es darum, den für das geschädigte Kind (individuell) entsprechenden und tatsächlichen Pflege- und Betreuungsmehrbedarf festzustellen. Bei der sozialrechtlichen Berücksichtigung der Pflege kommt es darauf an, ein Mindestmaß an Pflegeleistungen zu gewähren und hierbei allgemeingültig aufgestellte Maßstäbe und Voraussetzungen zu erfüllen.
Ob also bei einer von den Eltern geltend gemachten Erhöhung des Pflege- und Betreuungsmehrbedarfs auch eine Erhöhung der Pflegebedürftigkeit nach dem Sozialgesetzbuch XI mit der Folge einer höheren Pflegestufe eingetreten ist, ist somit keine Voraussetzung für die zivilrechtliche Geltendmachung eines erhöhten Pflege- und Betreuungsmehrbedarfes. Auf der anderen Seite kann natürlich die Erhöhung der Pflegestufe auf jeden Fall als Argument genutzt werden, dass es tatsächlich zu einer Veränderung im Sinne einer Erhöhung des Pflegeaufwandes gekommen ist.
Prüfung des Pflege- und Betreuungsmehrbedarfs nicht vergessen!
Wenn in einem Vergleich die Zukunft flexibel gestaltet werden soll, sei es durch einen Vorbehalt oder durch die Möglichkeit der Anpassung an den tatsächlichen Pflege- und Betreuungsmehraufwand, muss in regelmäßigen Zeitabständen überprüft werden, ob der bisherige Aufwand noch den tatsächlichen Pflege- und Betreuungsverhältnissen entspricht.
Hilfreich ist es, entsprechende Berichte von Ärzten, Therapeuten und Pflegekräften heranzuziehen und der Prüfung zugrunde zulegen. Besonders wertvoll ist es, wenn Eltern ein Pflegetagebuch führen und darin festhalten, welchen zeitlichen Aufwand sie für welche Tätigkeiten im Rahmen der Pflege und Betreuung ihres geschädigten Kindes haben. Natürlich kann auch ein etwaiger Pflegegeldbescheid bzw. ein Pflegegutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung wertvolle Hinweise geben, ohne die eigene Prüfung zu beschränken. Auf der Basis verschiedener Daten ist dann der Vergleich zwischen der alten und neuen Feststellung des Pflege- und Betreuungsmehraufwandes deutlich vereinfacht.
Gerade im Geburtsschadensrecht ist es ganz entscheidend, individuelle Regelungen zu finden, die in der Familie Rückhalt finden und zu der Lebensplanung von Eltern und Kind passen.
Diese Möglichkeiten gibt es und sie sind eng in Zusammenarbeit mit dem betreuenden Anwalt im Rahmen der Verhandlungen mit der Gegenseite zum Gegenstand des Vergleiches zu machen.
Je besser ein Vergleich geregelt ist und nicht nur die vergangenen und gegenwärtigen, sondern auch die zukünftigen Lebensumstände berücksichtigt, umso besser wird er auch dem tatsächlichen Bedarf des gehandicapten Kindes und der Familie gerecht.
Irem Scholz, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Medizinrecht
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